24.12.2022
Weihnachten 2022 – Das Geheimnis unserer Welt

Es gehört zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen, wenn wir in der Kirche am Heiligabend das Krippenspiel aufgeführt haben. Ich war jedes Jahr dabei, da meine Mutter meist das Krippenspiel mit den Kindern einübte. Später fuhr ich oft mit ihr von einer Kirche zur Nächsten, um in jedem Ort der Umgebung den Heiligen Abend zu feiern. Meist war irgendein Kind krank und ich hatte die Aufgabe seine Rolle zu übernehmen. Es war schön, die Stimmung der Weihnacht von einer Kirche zur anderen zu tragen. Die Geschichte war immer ähnlich und wurde in vielen Varianten gespielt. Eines blieb sich immer gleich. Das Bewusstsein, das in diesem Kind etwas Besonderes mit unserer Welt geschehen ist.

Ein Kind wurde geboren. Vermutlich in einem Stall, da scheinbar kein anderer Ort seine Mutter aufnehmen wollte. Ein Stern soll seine Geburt angekündigt haben.

Unsere Bibel erzählt davon aus unterschiedlichen Blickwinkeln mehrere Geschichten. Die eine erzählt von den Hirten, denen die Engel die Geburt eines Kindes im Stall verkünden und den Frieden auf Erden, der mit ihm beginnt. Die andere erzählt von den Weisen aus dem Morgenland, denen ein Stern den König der Welt ankündigt und den sie irrtümlicherweise zuerst im Palast des Königs Herodes vermuten.

Was erzählen diese Geschichten? Für mich zum ersten, das Gott, dessen Propheten zu den Völkern gesprochen haben, in die Wirklichkeit jener Hirten und Weisen eintritt. Sie machen sich auf den Weg und sehen dieses Kind in seiner Krippe. Es ist ein Kind und soll der Heiland der Welt sein. Der Heiland? Wir benutzen dieses Wort in unserem Alltag nicht. Der Ruf nach Führern, nach den Regierenden, ist uns da eher vertraut. Menschen, die vorangehen und oft sagen, wo es lang gehen soll. Die mit Macht ihre Ziele setzen und anstreben.

Der Heiland ist etwas anderes. Die Bibel erzählt von ihm als dem, der die Verletzungen heilt, der Wege aus den Verirrungen zeigt. Der, der von dem Geheimnis der Welt und seiner Gegenwart redet. Oder einfacher gesagt, der uns auf Gottes Gegenwart in dieser Welt hinweist.

Die Hirten sehen in dem Kind ein Zeichen der Hoffnung. Die Weisen sind als Suchende einem Stern gefolgt. Geschichten, die mich berühren. Abends gehe ich gern in unserem Garten umher. Ich schaue nach den Sternen. Nach dem Nordstern und dem Großen Wagen. Der Große Wagen wandert um den Nordstern herum. Je nach Jahreszeit kann man an ihm die Zeit ablesen. Zeit, die vergeht und doch etwas beruhigend Kontinuierliches hat. Die Sterne sind in Bewegung. Es macht mich demütig im Angesicht der Zeit, die vergeht und doch jeden Tag ein Geschenk ist. Die Sterne bringen mich auf einen Weg, wie die Weisen in der Weihnachtsgeschichte, auf der Suche nach dem Geheimnis der Welt.

Das Besondere an Weihnachten ist für mich, dass sich das Geheimnis der Welt in einem Kind zeigt. Uns Menschen als Mensch. Die Bibel beginnt genauso: „Und Gott schuf den Menschen zu seinem Ebenbild, und schuf sie als Mann und Frau.“ Weihnachten erinnert mich an unsere Aufgabe. Nicht den Göttern sollen wir gleich werden und mit überirdischen Fähigkeiten die Welt versuchen zu retten. Keine Superhelden, die die Welt entweder bedrohen oder im Kampf gegen das Böse stehen. Nein, das Kind in der Krippe erinnert in seiner Zartheit und Verletzlichkeit an die Verletzlichkeit Gottes, dessen Ebenbild wir Menschen sind. Wir können lieben, wie er seine Welt liebt. Wir können uns neue Anfänge schenken, wie er neue Anfänge schenkt. Abseits des Erwarteten. In einen Stall kommt der König der Welt. Es ist meine Befreiung aus den Zwängen von Erwartungen und Forderungen, die mir in der Krippe ihr Lächeln schenkt. Ein Gedanke, der mich seit meiner Kindheit begleitet.

Ihr Michael Wegner

Foto: www.johanna-buechner.art