07.06.2021
1. Sonntag nach Trinitatis

Liebe Schwestern und Brüder,

Jona, der vor Gott und seinem Auftrag geflohene Prophet, sitzt im Bauch eines Fisches. Gerettet zwar vor dem Ertrinken, aber doch dem Leben entzogen.

Die alttestamentliche Lesung erzählt die bewegende Geschichte vom Propheten Jona, der drei Tage und drei Nächte in einem Fisch saß, über sein Leben nachdachte, wie er wohl vorher nie über sein Leben nachgedacht hatte und betete, wie er wohl nie inniger gebetet hatte. Auf dem schmalen Grat zwischen Leben und Tod, ist für Jona Auszeit, - „Fischzeit“. Er schildert, wie er in dem Strudel der Meere versank und alles verloren glaubte. Dazwischen blitzt Sehnsucht auf: „Wie kann ich je wieder aufschauen, um deinen heiligen Tempel zu sehen?“ (Jona 2, 5) Und dann ein denkwürdiger Satz: „Die sich halten an das Nichtige, verlassen ihre Gnade.“ (Jona 2,9) Dieser Satz hängt meinem Nachdenken an und gibt mir Spannung und Gelassenheit in manchen Fragen zugleich.

In meiner durch Corona aufgezwungenen Zwangspause der zwischenmenschlichen Begegnungen finde ich mich gedanklich nah bei Jona im dunklen Fischbauch. Wir Menschen laufen vor Gottes Auftrag, unseren Nächsten zu lieben, die Schöpfung zu bewahren und Gerechtigkeit zu schaffen, weg, halten uns an das Nichtige und verlieren den Halt. Das hat viele Opfer gefordert. Langsam begreife ich, die unbequeme Zwangslage könnte auch die Rettung sein. Und ich hole gleich Jona nach, was ich vor dieser „Fischzeit“ viel stärker hätte tun sollen, ich bete. Jona schließt sein Gebet mit den erkenntnisreichen Worten: „Die Erlösung ist bei ihm!“ Da befahl der HERR dem Fisch, Jona an Land zu bringen. Dort spuckte der Fisch ihn aus. Jona bekommt ein neues Leben geschenkt.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Jona kündigt den Menschen in Ninive ihren Untergang an. Diesen Untergang vor Augen geschieht das Unerwartete. Die Menschen ändern ihr Leben, gehen neue Wege. Die Mächtigen schließen sich ihnen an. Gott schenkt auch ihnen, genau wie Jona, einen neuen Anfang.

Das macht Jona zornig.

„Ich wusste, dass Du gnädig und barmherzig bist, geduldig und von großer Güte.“

Das Gottes Güte Menschen nicht in ihren Irrwegen untergehen lässt, das macht ihn zornig. Böse Wege sollen böse Folgen haben. Verständlich. Denke ich doch auch oft genauso. Was ich genau wie Jona übersehe, ist, dass Gott auch mein Gebet erhört, mich von meinen Irrwegen zurückbringt. Der Fisch hat ihn an Land gebracht. Die Zeit meiner zwischenmenschlichen Zwangspausen scheint dem Ende entgegenzugehen. Was mache ich nun. Genau da weiter wo ich vor Pandemie und Abstand unterbrochen wurde? Was ist für mich das Nichtige, was mich von Gott trennt? Haben sich vielleicht Werte und Einstellungen bei den Anderen und bei mir in der Zwangspause verändert?

Neue Blickwinkel auf unsere Gesellschaft sind entstanden. Die Grenzen der Globalisierung, des ungebremsten Wachstums. Der Blick auf Pflegende, den Wert unseres Gesundheitswesens haben wir neu entdeckt. Das ganze Gruppen von Menschen, die wir so noch nicht wahrgenommen haben, noch lange unter den Folgen der Pandemie leiden und auch weiter Hilfe brauchen ist uns bewusst geworden. Einfach weiter so, die Zeit hinter sich lasse, die gleiche Gleichgültigkeit wieder pflegen, dass sollte nicht mein Weg sein. Denn es ist in der Geschichte des Jona nicht Gottes Weg.

Was kann ich tun? Vielleicht zuerst meine Erfahrungen, meine Sehnsüchte ernst nehmen. Sehnsucht ist ein guter Kompass. Sie führt mich zu dem, was ich so nicht erwartet habe. Sehnsucht hat kein Ziel, sondern ist mehr ein Wunsch. Ein Wunsch nach Gemeinschaft, nach Gerechtigkeit nach allem was mir in den vergangenen Monaten wirklich gefehlt hat. Einfach weiter so wie vorher wird dieser Sehnsucht nicht gerecht. Sehnsucht öffnet nicht nur die Herzen, sondern auch die Augen. Eine böse Zeit liegt hinter mir. Aber sie kann gut enden. Weil ich die Freiheit habe neue Wege zu gehen. Weil auch mir diese Welt anvertraut ist. Gemeinsam mit allen Menschen. Und weil wir alle dabei nicht allein sind unsere Verantwortung füreinander neu zu entdecken. Gott ist langmütig. Gehen wir an Land. Wie Jona. AMEN

Michael Wegner

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