15.09.2022
Gedanken zur Woche

Liebe Leserinnen und Leser,

es ist doch gut, wenn man eine Meinung hat. Die braucht man zu den vielen Themen des Lebens, die uns heute umgeben, manchmal umtreiben- ob es die großen Themen dieser Welt oder auch die Alltagsdinge sind, die täglichen Entscheidungen. Eine Meinung schafft Klarheit für mich selbst und andere. Wer eine Meinung hat, positioniert sich und die anderen können mit mir umgehen, wissen, woran sie sind und ich weiß es bei anderen. Eine Meinung zu haben, ist gut. Und wie gut dass wir in einer Demokratie leben, die die Meinungsfreiheit einschließt.

Aber ich sehe auch Grenzen bei der Sache mit der Meinung. Grenzen werden immer da erreicht, wo die Meinung, die man hat, in ein Urteil umschlägt. Wo Menschen mit ihrer Meinung andere beleidigen, klein machen oder abwerten. Und das geht ganz schnell. Schon Max Frisch hat gesagt, es sei ein Unterschied, ob man einem anderen die Wahrheit (ich ergänze: oder das, was man für die Wahrheit hält, die eigene Meinung) wie einen nassen Lappen um die Ohren schlägt oder sie ihm wie einen warmen Mantel hinhält. Auch, wo die eigene Meinung zur plakativen Allerweltsfloskel vereinfacht wird, da wird es schwierig. Wo man sich vermeintlich einfache Wahrheiten zu eigen macht, ohne selbst noch darüber nachzudenken. Das hat nichts mehr mit Meinung zu tun, sondern ist oft nur Gedankenlosigkeit und die Flucht ins Banale.

Es ist doch gut, wenn man eine eigene Meinung hat, das ist schon wahr. Die eigene Meinung braucht Nachdenken, zum Beispiel über die Werte, die ich tief in mir habe, die mir wichtig sind. Und viel Behutsamkeit und Barmherzigkeit. Damit sie eben nicht zum nassen Lappen wird, die man anderen um die Ohren schlägt. Damit man miteinander im Gespräch und in Beziehung bleibt. Damit die eigene Meinung nicht dazu führt, dass wir nicht mehr miteinander reden und uns nicht mehr in die Augen sehen können.

In der Bergpredigt gibt es einen schönen Satz von Jesus: „Selig sind die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ Das kann doch eine gute Basis für die eigene Meinung sein: der barmherzige Umgang miteinander, der uns hilft, andere nicht zu entwerten. Nicht so sehr auf der eigenen Meinung zu beharren, dass der andere Mensch gar keine Chance mehr hat. Dazu zu lernen, die eigene Meinung nicht über alles andere zu stellen. Und die Barmherzigkeit, die ich ausstrahle, kann, wenn es gut geht, dann auch zu mir zurück kehren. Was wir geben, können wir auch bekommen.

Es ist gut, wenn man eine eigene Meinung hat. Und es ist gut, die barmherzigkeit nicht zu vergessen. Mit beidem wünsche ich uns spannende Erfahrungen.

Herzlich grüßt sie ihre Pastorin i.R. Barbara Fischer aus Saalfeld