22.10.2021
Gedanken zur Woche – 24.10.2021

Zur Botschaft der Bibel gehört ein großes Wort: Feindesliebe. Jesus ruft auf, seine Feinde zu lieben. Aber haben die meisten Menschen überhaupt Feinde? Natürlich gibt es Konkurrenten oder Störenfriede oder politische Gegner. Es gibt zu tief verletzte Menschen, die den anderen am liebsten nur von hinten sehen möchten. Es gibt Konflikte in der Nachbarschaft und Mobbing auf Arbeit. Aber Feinde? Vielleicht reden wir nicht gleich von Feinden, aber Spannungen gibt es genug. Wird das russische Gas nun fließen? War die nordkoreanische Rakete nur ein Versuch zum Selbstschutz? Ist der Baum zu nah an den Zaun gepflanzt? Warum darf die Oma ihr Enkelkind nicht sehen? Bei all diesen Geschichten kann eine Haltung weiterhelfen, die die Bibel mit Feindesliebe beschreibt: Es geht darum, aus der Spirale von Beschuldigungen oder Gewalt auszusteigen. Es geht darum, nicht einer blinden Wut zu verfallen, die zerstört. Es geht darum, in der Sache wenn nötig hart zu bleiben, aber im Anderen den Menschen zu sehen. Jesus hat am Kreuz auch für seine Mörder gebetet. So auch der Prior jenes algerischen Klosters, der in einem Brief 1996 seinen zukünftigen Mördern verziehen hat: „Ich wünsche mir, dass, wenn der Augenblick gekommen ist, noch jener Moment geistiger Klarheit bleibt, der mir erlaubt, Gott und meine Brüder auf Erden um Vergebung zu bitten und zugleich aus ganzem Herzen dem zu vergeben, der Hand an mich gelegt hat.“ Feindesliebe ist wahnsinnig schwer, aber möglich.

Christian Sparsbrod, Pfarrer und Klinikseelsorger