20.01.2023
Stanislawski: goldene Regel verkörpern

Manchmal denke ich, es sollte für uns alle eine Grundausbildung geben im Menschsein. Einer der Lehrer müsste dann Stanislawski sein. Der russische Regisseur, der heute 160. Geburtstag hätte. Seine Methoden helfen dabei, umzusetzen, was Jesus gesagt hat als Leitidee für unser Miteinander: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Stanislawski wollte zwar Schauspielern beibringen, möglichst realistisch ihre Rollen zu spielen. Doch seine Regeln sind auch sinnvoll fürs echte Leben. Als erstes soll man sich fragen: Was würde ich tun, wenn ich in der Situation des anderen wäre? Aber nicht nur oberflächlich, dass der Schauspieler so tut, als ob er einfach Othello ist, der Mohr von Venedig. Sondern er soll tun, als ob er, Othello, wahnsinnig eifersüchtig ist, weil ihm sein Offizier gerade gesagt hat, dass seine Ehefrau ihn betrügt – für die er sich als Schwarzer sowieso nicht gut genug hält. „Magisches als ob“ heißt das bei Stanislawski. Es geht tiefer. Das sind viele Schichten einer Rolle, in die sich der Schauspieler hineindenkt. Was alles zusammenkommt in einem Menschen, was unsichtbar in ihm vorgeht! Der Schauspieler will das alles wissen und mit eigenen Erfahrungen verbinden, damit er es „echt“ spielen kann. Uns im echten Leben kann die Technik helfen, den Alltag mit weniger Ärger zu überstehen.

Alle, mit denen wir zu tun haben, sind vielschichtig. Jeder will gerade etwas, fühlt etwas, hat etwas erfahren. Das zu ergründen – wenn auch nur ansatzweise – hilft manchmal beim Verstehen, warum sich jemand so verhält. Wir selbst wollen ja auch ergründet werden und verstanden.

Dass wir nicht immer nur von der Oberfläche her urteilen, sondern gelegentlich tiefer denken, wünscht sich und Ihnen, Milina Reichardt-Hahn, evangelisch und Pfarrerin in Fambach