01.09.2023
Die verstümmelte Welt besingen

„Versuch’s die verstümmelte Welt zu besingen. Denke an die langen Junitage,
und an die Erdbeeren, die Tropfen des Weins rosé. ... Du mußt die verstümmelte Welt besingen. Du hast die Flüchtlinge gesehen, die nirgendwohin gingen. Du hast die Henker gehört, die fröhlich sangen.“
Zeilen aus dem Gedicht des polnischen Dichters Adam Zagajewski. Heute am Antikriegstag sind es Worte, die ausdrücken, was viele in einem zerrissenen Herzen fühlen. Wie soll ich das alles noch zusammenbekommen? Die Greuel der Kriege und die Schönheit des Lebens?

Entstanden ist das Gedicht 1999. Damals wanderte Adam mit seinem Vater durch verlassene ukrainische Dörfer, deren Bewohner zwangsumgesiedelt worden waren. Berühmt geworden ist es 2001 nach den Anschlägen auf das World Trade Center.

Viermal setzt es ein. Aus dem „versuch’s“ wird ein „du mußt“, dann ein „du solltest“ und schließlich die bedingungslose Aufforderung „Besinge die verstümmelte Welt“.

Ja! Ich will’s versuchen, weil ich mich nicht in die Hoffnungslosigkeit ergeben will. Ich leihe mir diese Worte. Aus ihnen höre ich den Auftrag, die Augen vor dem Kriegsgrauen nicht zu verschließen, mich nicht daran zu gewöhnen und gleichzeitig nach dem Licht inmitten der Dunkelheit zu suchen.

Besinge die verstümmelte Welt
und die graue Feder, die die Drossel verlor,
und das sanfte Licht, das umherschweift und verschwindet
und wiederkehrt.

Eine friedvolle Nacht wünscht Dorothee Land, evangelisch und aus Erfurt