26.07.2024
Dämmerung öffnet Tore

Wenn die Tage so heiß sind, zieht sie die Vorhänge zu, stopft noch Decken aufs Fensterbrett, dass die Gardine auch wirklich dichthält. Die Hitze macht sie fertig. Dann sitzt sie den ganzen Tag im Dämmerlicht. Öfter macht sie die Lampe an. Kein Zustand. Das weiß sie auch. Es macht sie schwermütig. Aber in ihrem Alter ist die Schwermut eh der treue Begleiter. Sie schläft viel. Mit 84 darf man das.

Aber abends dann, wenn es sich langsam abkühlt, zieht sie die Vorhänge auf und öffnet die Fenster, dankbar für jede kühle Brise.

Die blaue Stunde geht über in schwarze Nacht. Die Welt da draußen verschwimmt. Die Straße wird ruhig.

So ist er – der Abend des Lebens, denkt sie. Sehr still. Etwas mystisch. Sie lebt aus der Erinnerung. Die alten Fotoalben trösten. Und der Gedanke, dass ihr Mann da oben auf sie wartet. Am liebsten einschlafen und in der anderen Welt aufwachen, sagt sie. Da, wo es keine Schmerzen mehr gibt, wo wir frei sind.

Gott ist ein unscharfer Begriff. Verliert sich in der Dämmerung. Aber jemand hat mal gesagt: Gott ist Liebe. Und sie hat sie sich gemerkt. Liebe trägt weit. Geht weiter, als die alten Fotos es zeigen können.

Diese Liebe kann sie fühlen. 

So sitzt sie am Fenster. Der Blick geht in den dunklen Himmel. Die Sterne blinken. Es fällt eine Sternschnuppe.

Und sie fühlt sich gemeint.

Kommen Sie gut durch die Nacht, wünscht Ihnen Ulrike Greim, Erfurt, Evangelische Kirche.