30.05.2022
Betrunken im Kreissaal

Er hatte den wichtigsten Moment verpasst. Paul wollte einfach nur – wie immer – einen trinken gehen. Na gut, es sind zwei, drei mehr geworden. Als er nach Hause kam, hatte sie schon heftige Wehen. So hatte er sie noch nie gesehen, wie sie sich am Stuhl festhielt und stöhnte, dann schrie.

Er hat irgendwie noch den Rest seines Verstandes zusammengenommen und die Autoschlüssel geschnappt. Sie blaffte ihn nur an: Du fährst nicht! Er bestand darauf. Hievte sie die Treppe herunter und ins Auto, fuhr – Gott weiß wie – in die Klinik und brachte sie in den Kreißsaal. Da war Ende der Reise. Die Hebamme hatte eine kurze Ansage gemacht. Betrunken geht hier nix. Adios Muchacho.

Er war wie vor den Kopf gestoßen. Aber, ehrlich gesagt, war es ihm auch recht. Was jetzt kam, wollte er sich nicht vorstellen. Er ging raus, fand sein Auto nicht, torkelte in die nächste Kneipe an der Ecke und gab sich die Kante.

Danach schämte er sich und schwieg.

Vier Tage später, Frau und Kind kommen zuhause an, der Opa hat sie geholt.

Seine Frau ist etwas einsilbig. Aber er war doch auch überfordert.

Jetzt sieht Paul diesen süßen kleinen Knopf in der Wiege liegen. Ein kleines Wunderwerk, alles dran. Was für kleine Fingerchen! Ihm laufen die Tränen. Er weint auch über seine Dummheit. Dass er sich auch nicht einmal zusammenreißen kann!

Gott schenkt Wunder. Kleine und riesengroße. Und Wunder brauchen uns, Paul, damit sie gutgehen.

Ulrike Greim, Weimar, Evangelische Kirche