22.04.2021
Jubilate 2021

Liebe Schwestern und Brüder,

der unbekannte Gott, der doch alles geschaffen hat, der alles gibt. Im Mittelpunkt des heutigen Sonntages Jubilate steht der Jubel über die Schöpfung. Die erwachende Natur führt es uns vor Augen. In meinem Garten singen die Vögel. Ich habe sie in den kalten Zeiten gefüttert. Am Tag der Vogelzählung stand ich mit meiner Frau am Fenster und habe mit ihr über die Vielzahl der zu beobachtenden Arten gestaunt. „Sprecht zu Gott: Wie wunderbar sind deine Werke.“ So singt uns der Psalm des heutigen Sonntags.

Die Bibel erzählt uns von den Tagen der Schöpfung. Sie erzählt keine Welterklärung im naturwissenschaftlichen Sinn, wiewohl sie eine genaue Beobachtung der Entstehung der Arten widerspiegelt, die Bibel erzählt davon, wie wir uns verstehen. Als Teil einer lebensermöglichenden Ordnung der Natur. Menschen haben sich zu allen Zeiten als hervorgehobener Teil der Natur verstanden. Der Wechsel der Jahreszeiten, die Wärme der Sonne, das Wachsen der Pflanzen, die Geburt der neuen Generation von Tieren, dass der Atem fließt und sich unsere Kräfte erneuern - all das ließ Menschen zu allen Zeiten Freude und Staunen empfinden.

Wie offen sind wir noch für diese Freude? Wie offen sind wir noch für dieses Staunen? Zurzeit können wir nicht reisen, wie wir es in der Vergangenheit gewohnt waren. Kreuzfahrten sind nicht so wirklich möglich. Flugzeuge bleiben am Boden. Wir entdecken unsere Heimat neu und mit anderen Augen. Ist das wirklich so schlimm, wie wir manchmal denken? Dort, wo wir zurzeit nicht hinkönnen, blüht die Natur ganz neu auf. Meere erholen sich von den Auswirkungen unseres Massentourismus. Korallenriffe können sich ohne Störung neu erfinden. Unser Platz in der Schöpfung ist durch unser Handeln immer wieder gefährdet. Scheinbar geht es der Schöpfung mancherorts besser ohne uns.

Die Einschränkungen der Pandemie fragen uns auch nach unserem Frieden mit der Schöpfung.

Manchmal vergessen wir, dass zur Schöpfungserzählung der Bibel auch die Schöpfungsruhe gehört. In sechs Tagen ist die Welt erschaffen. Unsere Arbeitswoche spiegelt das bis heute wider. Der siebente Tag soll frei bleiben von den Mühen des Alltags, vom Kampf des höher, schneller, weiter. Er soll uns innehalten lassen. Geschenkte freie Zeit.

„Freizeitgestaltung“ ein Wort, dass nur in unserer deutschen Sprache vorkommt. In anderen Sprachen fehlt es. Freie Zeit zeichnet sich gerade durch ihre Freiheit aus. Die Maßstäbe unsrer Arbeitswelt wie Effektivität und Erfolg haben hier eigentlich keine Bedeutung. Wir sind übergriffig und wollen auch diese Zeit nutzbar machen. Dabei bleibt viel auf der Strecke. Besinnung, Nähe, hören, erzählen. Zeit die wertvoll wird, weil wir sie Anderem schenken. Der Familie, Freunden, den Menschen, die mit uns auf dem Weg sind. Der Besinnung auf das eigene Leben und unseren Platz in der Welt. Zeit, die sich nicht beschleunigen lässt. Wenn wir am Sonntag in unsere Kirchen kommen, erleben wir eine Zeit, die ihren eigenen Rhythmus hat. Ein Lied, Musik wird sinnlos, wenn wir das Tempo erhöhen. Ein Gebet erfüllt nicht die Maßstäbe der Effektivität. Geschenkte Zeit. Zeit zum weiterschenken. Entdeckung der Freude über das, was uns umgibt und uns geschenkt ist. Nachdenklichkeit steht uns gut zu Gesicht. Innehalten und unseren Platz im Gefüge der Welt zu bedenken. Staunen und vielleicht den Jubel entdecken. Über eine Welt, die uns umgibt und deren Teil wir sind. Sie dreht sich weiter. Auch ohne uns. Aber Gott hat uns geschaffen als Teil dieser Welt. Halten wir inne. Lassen wir uns Zeit schenken. Teilen wir sie mit denen, die mit uns auf dem Weg sind. Vielleicht erfüllt es unsere Herzen mit der Freude, von der dieser Sonntag erzählt. Amen.

Michael Wegner - Superintendent -