29.03.2019
Befreiung aus den Zwängen

Vom Objekt zum Subjekt

Die Nacht zieht herauf. In den Texten der Passionssonntage erscheint das Motiv von Nacht und Finsternis immer wieder in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Als Judas sich auf den Weg macht, um Jesus zu verraten, bricht die Nacht herein. Gefangen in seinen Plänen geht er in die Dunkelheit. Seine Sehnsucht nach einer besseren Welt, die ihn einst Jesus nachfolgen ließ, hat er den Spielen der Macht geopfert. Die Sehnsucht nach dem Paradies ist der Sehnsucht nach Macht und Einfluss gewichen. Dunkelheit breitet sich aus.

Es ist der Verlust der Sehnsucht nach dem Paradies, die Menschen verzweifeln und einsam sein lässt. Verzweiflung führt in die Nacht des Gartens Gethsemane. Aus dem Garten des Paradieses ist der Garten Gethsemane, der Garten des Verrates geworden. Jesus bleibt allein, die Jünger schlafen. Als Judas und die Soldaten kommen, spricht Jesus von der Macht der Finsternis.

Das Leiden Gottes in dieser Welt ist die Stunde der Finsternis. Die Menschen lieben die Finsternis mehr als das Licht. Ob es die Kämpfe um Macht im Jemen, ob es die Spiele der Macht in Venezuela oder die unzähligen Konflikte auf dem afrikanischen Kontinent sind, immer wieder geht es um Kämpfe, die für die von den Folgen Betroffenen eine unerträgliche Dunkelheit bedeuten. Was ist mit uns? Uns, die wir immer wieder daran erinnert werden, nicht in der Finsternis leben zu müssen. „Vormals ward ihr Finsternis, nun aber seid ihr Licht.“

Wir müssen nicht zu den Boshaften gehören. Wir müssen nicht unsere Werte und Hoffnungen verraten. Gott spricht zu uns. „Ihr seid das Licht der Welt.“ Die Finsternis greift mit ihren Gedanken nach uns. „Warum geht es denen, die für mich zu den Boshaften gehören, so gut? Warum bin ich nicht reich und mächtig? Neid und Bosheit nehmen Besitz von mir. Ich werde immer mehr Finsternis für mich und die, mit denen ich lebe. Die Finsternis nicht in unsere Herzen einziehen zu lassen ist wichtig. Da wo wir es tun, wird es Nacht. Die Nacht der Dunkelheit, in die Judas geht, um Gott zu verraten.

Es ist die Botschaft an uns. Wir können umkehren. Uns in der Finsternis unserer Herzen dem Licht zuwenden. Am vergangenen Freitag hat ein Sportjournalist, Andre Voigt, seine Stimme erhoben. Gegen Rassismus und Hetze in einem Fußballstadion wo er Zeuge geworden ist. Öffentlich und mit viel Wirkung in den Medien. Mit viel Mut und nun mit vielen Anfeindungen. Der Weg der Wahrheit ist nicht leicht. Nicht leicht für uns alle. Es geht darum, nicht mehr Objekt der Dunkelheit zu sein.

Der kommende Sonntag erzählt von der Hoffnung, dass die Dunkelheit nicht das letzte Wort hat. Gott steht in der Mitte des Leidens und der Verzweiflung und ruft uns zu verwandelnder Liebe. Liebe befreit aus den Zwängen, andere zu Objekten unseres Strebens zu machen. Liebe fragt danach, was wir füreinander tun können. Als mündige Subjekte, die anderen Menschen ihre Mündigkeit zugestehen.

Gott hat die Tür zum Garten der Verheißung weit geöffnet. Für Dich und mich. Wir bleiben zusammen. Mit allen, die mit uns auf dem Weg sind. Mit allen, die vor uns auf dem Weg sind. Weil wir ihm nicht egal sind. Weil er zu uns kommt, um uns mitzunehmen in dieser Welt und in sein Reich. Damit das Licht, das nicht vergeht, auch bei uns scheint.

Michael Wegner

Symbolfoto: Ilka Jost