21.11.2019
Advent - die Farbe unseres Lebens

Wenn wir unsere Gesellschaft mit einem Fahrzeug vergleichen, dass auf der Straße der Zeit dahinrollt, so fährt der Tod im toten Winkel mit. Unbemerkt erscheint er plötzlich und ohne Warnung.

Es war eigentlich ein Gespräch über unser Verständnis des heiligen Abendmahls. „Das könne man doch im 21. Jahrhundert niemandem mehr zumuten. Das Gott darin seine Gegenwart schenkt. In Wein und Brot. Vielleicht gäbe es ja etwas wie den Weltgeist, den Urton des Universums. Aber einen Gott der lebendig und gegenwärtig ist? Unvorstellbar.“ Es ist das Gefühl des ehemals christlichen Abendlandes, das Gefühl der absoluten Leere, der Verlust der Transzendenz der Welt, die unsere Gesellschaft prägt. Unser Glaube an den Fortschritt ist einerseits ungebrochen, andererseits hat er einer Endzeitstimmung Platz gemacht, die nur noch auf das böse Ende hindenkt und hofft, dieses nicht mehr erleben zu müssen. Nicht nur die Regierenden, nein auch breite Schichten der Gesellschaft stochern im Nebel und irren im Labyrinth der Prognosen ziellos umher. Die Gegenwart hat die Zukunft besiegt.

Das ist nicht überraschend. Sobald man den Ursprung des Lebens aus den Augen verloren hat, wird auch das Ziel ein Produkt aus Zufall und selbstverschuldeten Notwendigkeiten. Für die Besten unserer Zeitgenossen ist unsere Erde zu einem grünen Himmel geworden, den es der Nachwelt zu erhalten gilt. Real ist die Gefahr, dass das Christentum als ein Humanismus plus verstanden wird, von dem man erwartet, dass es den Menschen nicht mit unbeweisbaren Ansichten über den Tod belästigt.

Für Außenstehende ist in unseren Kirchengebäuden der Himmel an die Gewölbe gemalt und aus Frömmigkeit kulturelles Erbe und Tourismus geworden. Und wir? Was meinen wir, wenn wir beten: „Dein Reich komme“. In vielen Gegenden der Welt haben Menschen noch eine Vorstellung davon. Lassen ihre Vorstellungen unsere Bilder wieder in uns aufsteigen?

Was meinen wir, wenn wir unsere Verstorbenen in Gottes Hand wissen? Die biblischen Bilder sind überwältigend. Sie erzählen von einer Erwartung, die mehr ist als Prognosen und Zahlen. Die Texte von Jesaja und aus dem Buch der Offenbarung schlagen eine Brücke zwischen den Erwartungen für ein Reich, das mit einem neuen Himmel kommen wird und dem Wunsch, dass die jenseitige Wirklichkeit in unsere Welt hineinwirkt.

Das ist das Geheimnis unserer Sakramente. Gewissheit. Gott gibt ein Versprechen in der Taufe. Gott kommt zu uns in Brot und Wein.
Nehmen wir uns selbst ernst. Reden wir nicht an den Gräbern? Nicht weil wir altem Aberglauben anhängen, sondern weil wir glauben, dass jene in Gottes Reich leben.

Weil er ihre Tränen abgewischt hat, weil der Tod nicht mehr ist, seit Christus auferstanden ist. Wir meinen es ernst. In einer Welt, der der Sensor abhandengekommen ist. Die sich selbst genügt und daran verzweifelt. Was heißt es für uns, aus den Bildern vom neuen Himmel und dem Advent zu leben?

Es bedeutet zu wissen, dass unser Wort, unser Tun nicht die letzte Instanz ist. Es bedeutet, warten zu können, weil es etwas zu erwarten gibt. Es bedeutet Trost zu haben, weil jene, die vor uns auf dem Weg sind, ein Haus haben bei Gott, der ihre Tränen abwischt. Der Tod versteckt sich nicht im toten Winkel. Wir können ihm entgegengehen. Er ist das Erwachen zu einer neuen Wirklichkeit.

Die biblischen Texte beschreiben diese Bilder. Nehmen wir uns ernst. Weil Leben ein Ziel hat. „Dein Reich komme.“ Wenn wir nicht darauf vertrauen, bleiben die Toten obdachlos. Ohne Ort und Sinn.

Unsere Gottesdienste können das wiederspiegeln. Gewissheit der Gegenwart seines Reiches, Gemeinschaft derer, die etwas erwartet. Geheimnis seiner Zukunft. Advent ist nicht nur eine liturgische Farbe, sondern die Farbe unseres Lebens.

Michael Wegner - Superintendent -