Gedanken zur Nacht

Micha macht sich Luft!
Die da oben – die können mich mal.
Die wissen doch gar nicht,
was hier los ist.
Welche Probleme der kleine Mann hat.
Davon haben die da oben keine Ahnung.

Micha hat viel in seinem Leben versucht,
Erst die Ausbildung, dann die ersten Jahre im Beruf.
Werkzeugmacher hat er gelernt.
Dann kam die Wende.
Der Betrieb war sofort dicht.
Micha war einer der ersten, die gehen mussten.
So sah sie für ihn aus, die Freiheit!

Mühsam hat er sich dann über Wasser gehalten.
Hat jeden Job angenommen, der kam.
Sogar Zeitung hat er ausgetragen,
am anderen Ende der Stadt, wo ihn keiner kannte.

Auf die Sonnenseite des Lebens hat es Micha nie geschafft.
Jetzt erzählen sie sich am Stammtisch von den Flüchtlingen.
Wie die alles geschenkt bekommen.
Und dass das nicht sein kann.
Ihnen hat doch auch niemand etwas geschenkt.

Alle reden nur noch von den Geflüchteten und den Herausforderungen,
vor denen sie stehen.
Wer sieht eigentlich die Herausforderungen, vor denen Micha steht?
Da schaut keiner hin.

Aber, Micha, geht es dir wirklich besser, wenn es den Geflüchteten schlechter geht?
Gott, ich bitte dich für Micha und für uns alle:
Um offen Augen füreinander,
Hilf uns, behutsam zu sein.

Schenk uns Vertrauen für Lösungen, die wir miteinander finden.

Betet Pfarrer Ramón Seliger, evangelisch und aus Weimar